7. Draußen…

I am on the outside

09.12.2003, Tagebucheintrag

Das ist der Punkt! Ich habe den Bezug zur Realität verloren!
Die Realität ist mir scheißegal.
Warum sollte ich mich um den Quatsch kümmern, den ich früher gemacht habe?
Warum soll ich mich für irgendetwas interessieren?
Ich habe keinen Bock mehr, mich irgendwo anzupassen.
Ihr habt mich doch als „irre“ ausgegrenzt, mich weggesperrt!

Warum wollt ihr jetzt von mir? Das ich wieder in eurer Welt funktioniere?
Ich bin „draußen“, und das bleibe ich so lange ich will!
Ihr könnt von mir denken, dass ich wieder gesund bin, wenn ihr wollt.

Ich bleibe draußen…

Selbstbildnis 2005

23.03.2005, ein anderes Tagebuch

Ich schreite durch die Dunkelheit, die endlose Leere und Stille.
„Warum?“
Ich bleibe stehen und knie mich hin.
Plötzlich fällt alles auf mich hernieder.
Ich schlage die Arme über den Kopf zusammen. Doch es hilft nichts.
Ich habe kein Schutzschild. Ich liege.
Auf mir lasten Tonnen von schweren Felsbrocken.
Immer noch winde ich mich vor Schmerzen, immer noch atme ich.
„Warum?“

Psychiatrie, Berlin 19.04.05

Ich weiß nicht was mit mir los ist.
Ich halte es nicht mehr aus.
Ich will nur noch sterben. Alles was ich hier tue ist falsch.
Ich isoliere mich. Ich bitte niemanden um Hilfe. Ich fühle mich lächerlich.
Ich will weg. Ich fühle mich schrecklich einsam, und doch kann ich zu niemanden Kontakt aufnehmen. Ich weiß nicht mehr weiter.

Anmerkung 2018,
Ja, Herr Oberarzt Dr. Sowieso., ob das so ne gute Idee ist, trotz Einwände einiger Kollegen, das Seroquel abzusetzen? Vielleicht hilft ja zusätzlich ein bissl Trevilor  um die Sache zu beschleunigen…?

Das Unglück nimmt seinen Lauf…:
Irgendwann war ich mal wieder zur Krisenintervention in der Psychiatrie gelandet. Diesmal wegen starken Depressionen und Suizidgedanken.
Ich wurde auf Herz und Nieren getestet, da ich mich bereit erklärte, mit einer Studentin der Psychologie, ein Gutachten über mich schreiben zu lassen. Die Vereinbarung war, dass ich es hinterher lesen darf. Dabei kam ein IQ von 131 heraus- das war ja schonmal ganz toll. Außerdem wurde mir eine neue Diagnose zuteile: Ich bin scheinbar (auch) Borderliner. Yeah! Das klingt ziemlich cool.
Als ich dann mein Therapeut bat, mir das Gutachten zu zeigen. Sagte dieser, dass das nicht geht, weil die Frau Studentin das nicht wollte. Ich regte mich auf und er pflichtete mir bei. Er gab mir ihre private Telefonnummer(!). Als ich sie anrief um ihr zu sagen, dass sie das Gutachten rausrücken sollte, sagte sie: „Ich bin da nicht so ein Fan davon, sowas den Patienten zum Lesen zu geben. Aber wissen sie was: Ich habe eine eins für sie bekommen! Woher haben sie überhaupt diese Nummer?“. Ich war hellauf begeistert: Juhu, ich bin ne eins! Anscheinend gehörte Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein nicht zu ihren Spezialfächern. Vielleicht sollte mal jemand ein Gutachten über das Mädel schreiben, ich würde es ihr sogar zukommen lassen…

Ich informierte mich und bekam heraus, dass es in der Berliner Charité eine Spezialtherapie für diese Erkrankung (Borderline) gibt. Station 5, Eschenallee (damals 2005).

Ich ging zunächst zu einem Vorgespräch in dem klar wurde, dass ich hier/dort wohl richtig bin.

Es folgte eine zweiwöchige Diagnostik, in der herauskam, dass es sich um eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren, emotional instabilen (Borderline) und narzisstischen Anteilen handelt.
 
Es folgten 12 Wochen intensive dialektisch behavioraler Therapie. Es war eine Station auf der fast nur Frauen waren, die mich zum Teil auch mobbten, vor allem die homosexuellen unter ihnen. Sie wollten unter sich sein und mit Männern, wie man mir direkt sagte, konnten sie überhaupt nix anfangen.

Zu dieser Zeit war ich sehr klein mit Hut, da schwer depressiv. Ich fühlte mich hier überhaupt nicht wohl.
Ein so genannter Co-Therapeut brachte mich auf die Idee, eventuell ein Antidepressivum zu probieren. In der Oberarztvisite, bei der man vom gesamten Stationspersonal begutachtet wurde, ähnlich wie bei einem Verhör, fragte ich danach und ohne (wahrscheinlich) meine vorherige Krankheitsgeschichte zu berücksichtigen (Manie, Psychose) verschrieb mir der Oberarzt Herr Dr. Sowieso (eine Koryphäe im Bereich Psychiatrie, speziell Persönlichkeitsstörungen) Trevilor und setzte mein Neuroleptikum (damals Seroquel) ab.

Und siehe da: Mir ging es nach einiger Zeit viele besser. Tja, aus heutiger Sicht logisch. Teufel!
Ich blühte regelrecht auf, verliebte mich in eine Mitpatientin, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls gemobbt wurde, trennte mich wegen ihr von meiner Freundin. (Meiner heutigen Ehefrau, sorry dafür nochmal).

Bei einem so genannten Interview vor Studenten kam nun doch nochmals meine vergangene Manie zur Sprache. Der anleitende Arzt sprach mich danach auch nochmal an, ob es nicht besser wäre, ein Neuroleptikum zu verabreichen, aber da war es schon zu spät, ich wollte nicht mehr.

Mir ging es doch wieder blendend! Juhu! Ich stürzte mich ins Leben und fiel voll auf die Fresse.

Die blutjunge Frau aus der Psychiatrie in Berlin und ich zogen nach kurzer Zeit zusammen in meine Wohnung in der Leipziger Innenstadt. Am Anfang ging das noch ganz gut. Wir waren irgendwie beide ziemlich „Strange“ drauf. Feierten uns und unser neues Leben nach der Psychiatrie. Irgendwann verlobten wir uns und planten uns einen Bauernhof zu kaufen. Dazu brauchte ich Geld. Geld aus der Firma, denn ich war mittlerweile ziemlich pleite. (Was nicht verwunderlich ist, wenn man z.B. in der Psychiatrie 50-Euro Scheine verteilt…)
Das fand mein Vater nicht ganz so prickelnd…naja das Thema sollte sich aber von selbst erledigen.  

Die Beziehung zu meiner Verlobten begann immer mehr zu eskalieren. Sie war Borderlinerin und ich war mitten in einer Hypomanie die sich allmählig zur ausgewachsenen Psychose entwickelte. Ich und sie schaukelten uns hoch, wir gerieten immer wieder aneinander. Irgendwann haute sie ab und fand zunächst Asyl bei meinen Eltern. Ich verteilte ihre gesamte Habe im Hausflur auf der Treppe. Die Nachbarn waren begeistert, denn das ganze ging nicht gerade leise von statten.
Jetzt war ich ganz allein und brütete meine Psychose aus.
    

„You make this all go away
I’m down to just one thing, and I’m starting to scare myself“

(Zitat:‎ ‎Trent Reznor/Band: Nine Inch Nails)

und ab gehts>